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Ich werde immer wieder gefragt, wie man richtig beim Billard zielen soll. Vor allem in den USA werden verschiedene Zielsysteme mit einer Härte diskutiert, dass es stellenweise an Lager-Diskussionen zwischen religiösen Splittergruppen erinnert. Da gibt es wirklich die verrücktesten Konstrukte, wie man richtig zielt. Ich finde, das Ganze ist ein bisschen einfacher, und hier sind meine Gedanken dazu.
Willst Du eigentlich wirklich wissen, wie man beim Billard zielen soll?
Wenn ich gefragt werde, wie man richtig oder besser zielt, dann ist das nur die halbe Frage. Eigentlich geht es den Leuten ja darum, die Weiße mit mehr Präzision in die richtige Richtung zu spielen, damit weniger Bälle daneben gehen. Dazu braucht es aber zwei Dinge:
- das richtige Zielen, also die genaue Linie zu sehen, auf der die Weiße entlanglaufen soll
- einen geraden Stoß
Fangen wir mit dem Zielen an, denn danach fragen ja die meisten, und die oben beschriebenen Zielsysteme befassen sich auch damit.
Mein Zielsystem: Versuch und Irrtum
Mein Zielsystem ist ganz einfach: Such Dir die richtige Linie. Das klingt banal und ungenau, was daran liegt, dass es banal und ungenau ist – zumindest, wenn man ein schlau klingendes „System“ erwartet. Heißt aber nicht, dass es in der Praxis nicht sehr präzise funktioniert. Wer mit komplizierten Zielsystemen anfängt, die auf blumige Namen wie „Center to Edge“ oder „A Touch of Inside“ hören, intellektualisiert eine Tätigkeit, die mit Intellekt nichts zu tun hat. Wer versucht, mit nachdenken Kugeln einzulochen, ist nur zu faul zum Üben.
Wer versucht, mit nachdenken Kugeln einzulochen, ist nur zu faul zum Üben. Zum twittern anklickenNatürlich gibt es einen richtigen Punkt, an den die Weiße muss. Aber jeder, der das Spiel beherrscht, weiß aus Erfahrung, wo er die Kugel anspielen muss. Woher weiß er das: weil er es oft genug falsch gemacht hat.
Mein Zielsystem basiert darauf, dass Du Dir einen bestimmten Ball hinlegst und dann genau den gleichen Stoß mehrfach wiederholst, pro Übungseinheit mindestens 30 Mal. Bei jedem Versuch besteht „zielen“ aus dem gleichen Ablauf:
- Du schaust Dir die Linie an, die die Objektkugel Richtung Tasche nehmen soll.
- Du suchst Dir eine Linie von der Weißen zum Objektball, von der Du (aus welchen Gründen auch immer) annimmst, dass es die richtige Linie sein könnte.
- Du spielst, so genau es geht, die Weiße diese Linie entlang.
- Du betrachtest das Ergebnis und passt im nächsten Versuch die Ziellinie entsprechend an. Es gibt drei Varianten:
- Die Kugel ging rechts daneben: Du korrigierst die Ziellinie nach rechts.
- Die Kugel ging links daneben: Du korrigierst die Ziellinie nach links.
- Die Kugel ging rein: Du machst das gleiche nochmal.
Ist Dir das zu einfach? Dann beschäftige Dich doch mit Quantenphysik statt mit Billard. Oder zieh Dir eins der amerikanischen Zielsysteme rein.
Es gibt übrigens schöne Sammlungen von Standardbällen, um das zu üben. Du kannst aber jede Konstellation von Weißer und Objektball nehmen, die Du lernen willst.
Verschießen hört nie auf
Ich glaube, einige der Spieler, die bei mir Rat suchen und richtig zielen lernen wollen, haben noch ein weiteres Problem. Sie kommen einfach mit dem Verschießen nicht klar. Für Euch habe ich diese Botschaft: Du wirst immer daneben schießen. Dein ganzes Leben lang. Profis und Weltmeister schießen daneben. Warum sollte es bei Dir anders sein?
Was heißt das fürs Zielen? Eben habe ich geschrieben: Du suchst Dir die Linie aus, von der Du annimmst, dass es die richtige ist. Genau das ist es nämlich – eine Vermutung, wo die richtige Stelle ist, an der die Weiße den Objektball treffen muss. Im englischen gibt es den schönen Begriff „educated guess“: eine „fachkundige Vermutung“. Und manchmal liegen wir da eben einen Millimeter falsch, was dann schon dazu führen kann, dass der kleine bunte Bastard aus der Tasche rausklappert, anstatt ordnungsgemäß darin zu verschwinden.
100% Durchziehen
Der Witz an der Sache: Obwohl das Zielen immer eine Vermutung bleibt, müssen wir dieser Vermutung zu 100% vertrauen. Nur, wenn wir uns auf unsere Vermutung zu 100% einlassen und davon ausgehen, dass es die beste Vermutung aller Zeiten ist, werden wir unseren Stoß zu 100% durchziehen. Spiele nicht zögerlich und korrigiere nicht mehr kurz vor dem Stoß.
Selbst wenn Du nur 30% sicher bist, dass Deine Ziellinie die richtige ist, oder wenn Deine Stoßtechnik noch nicht sehr präzise ist, musst Du mit 100% Überzeugung den Stoß durchziehen. Und damit wieder die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Ball letzthin in die Tasche geht. Denn ich hatte es ja oben schon erwähnt: Bälle versenken funktioniert nur, wenn wir richtig zielen und richtig stoßen. Wenn Du nur 80% Überzeugung reinsteckst, senkst Du Deine Erfolgsquote eben auf 80% von 30%.
Das sind dann genau… Moment, Quantenphysik war ja für andere.
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Gefällt mir wieder sehr gut, denn „zögerlich“ und „unten noch schnell korrigieren“ sind meine treuen Erzfeinde, obwohl ich es doch einfach halten will (und mein Selbst 2 schon ziemlich gut spielen könnte). Frage: Die gute alte „Geister-Ball“-Methode bzw. -Theorie empfiehlst Du nicht mehr oder ist dieses „aiming by doing“ die praktische Ausformung derselben??
Gruß nach ?
Oetti
Gut, dass Du nach dem Geisterball fragst, und genau richtig geschlussfolgert. Für mich ist die Geisterball-Methode sehr wertvoll, allerdings mehr, um das generelle Konzept zu verstehen, wo der richtige Zielpunkt für die Weiße am Objektball liegt. Fürs praktische Bälle einschießen ist der Geisterball nicht nötig, da ebenfalls ein bisschen zu abstrakt. Ich behaupte, kein geübter Spieler sieht Geisterbälle, sondern Winkel. Gruß aus Thailand 🙂
Das mit den Zielsystemen ist in der Tat witzig, zumindest wenn man sich damit mal ein wenig beschäftigt hat.
Und ich kenne sie mittlerweile „alle“ Ob nun Center to Edge, Pro One, Reflections on Cut Shots und und und… (Und habe damit viele Stunden gearbeitet) Alle ist sicher etwas übertrieben, aber zumindest die populärsten.
Mittlerweile bin ich nach unzähligen Stunden Allein Training und dem Besuch 2 Professioneller Billard Trainer aber zu einem ganz anderen Schluss gekommen. Bei den meisten wird es gar nicht am falschen Zielen liegen sondern am falschen Stand, Falscher Ausrichtung zum Winkel der Weissen und dem Objektball und/oder kein grader Stoss.
Denn man sieht nach einigen wenigen Stunden schon gewisse Winkel und schätzt diese dann zum Treffen/versenken ein. Wenn jedoch der Körper Stand/Haltung zum Winkel der Kugeln nicht stimmt oder der Stoss nicht grade ist, wird man in vielen Fällen eben daneben schiessen.
Das kuriose ist, wenn die Ausrichtung stimmt und der Stoss grade ist, braucht man nicht mehr zielen,, man „sieht“ den richtigen Treffpunkt. Gezielt wird dann nämlich schon im Stand, wenn man unten ist, kontrolliert man „nur noch“ den graden Stoss und Treffpunkt und „drückt“ ab. Hört sich einfach ein, ist aber schon mit viel Training verbunden.
Mein Tip wäre, erst mal zu testen ob man denn überhaupt einen graden Stoss hat und die Weisse wirklich dort trifft wo man sie treffen möchte, denn wenn das nicht der Fall ist, ist jegliches einlochen eher Glückssache und die Basis stimmt einfach nicht….
Eine gute Übung dazu wäre
https://www.youtube.com/watch?v=RULYFvCQgfs und/oder
https://www.youtube.com/watch?v=uMzbrUDHqkU
Sollten diese Übungen auch schon bei kurzen Distanzen nicht funktionieren muss an der Körperhaltung korrigiert werden. Das können ganz kleine Nuancen am Korper sein, Hufte drehen, Armhaltung ändern, Standfuss leicht anders hinstellen oder, oder…
Wenn man dann den graden Stoss beherrscht wird vieles einfacher was die Winkelbälle betrifft.
Denn man kann darauf vertrauen die Weisse richtig zu treffen und kann dann an den verschossenen Bällen effektiv arbeiten, da man „nur“ den Trffpunkt am Objektball verändern muss.
Wer das gemeistert hat, ist der Masse der Hobby Billardspieler schon weit voraus.
Das Spiel wird wird einfacher und es bleiben nur noch die kleinen Probleme wie Tempo, Effet, Nerven usw. übrig ;-))
Danke für Deinen Kommentar. Stimmt absolut, ohne einen gerade Stoß ist alles nichts. Man kann Zielen schon üben, von Natur aus sehen wir die Winkel nicht. Aber eben nicht mit verrückten Systemen, sondern genau so, wie Du es beschreibst. Hingucken, Linie suchen, stoßen. Und dann gucken, was passiert. Aber nicht jeder verschossene Ball ist Resultat eines schlechten Stoßes, ich kann auch einfach falsch gezielt haben. Wir müssen also beides parallel lernen: stoßen und zielen.
Wer 80 % reinsteckt bekommt auch nur 80 % raus… ;~)
So sieht’s aus!